Evelyn Wood gilt als Erfinderin des Speed Reading, kaum ein Fachbuch kommt ohne ihren Namen aus. Doch die Glorifizierung ihrer Person übersieht offensichtiche Schattenseiten. Ein Beispiel gefällig? Hier sind gleich drei.
1. Unterstützung durch die Wissenschaft? Fehlanzeige!
Evelyn Wood hat Anklang in der Wissenschaft gefunden, heißt es. Ihre Arbeit an der „University of Delaware” dient dafür als häufiges Beispiel, unterschlägt aber ein Großteil ihrer Kritiker.
Richtig ist, dass Evelyn Wood zu Beginn ihrer Karriere einen Professor der Universität in Delaware namens Russel G. Stauffer überzeugte. Er war Leiter des dort ansässigen „Reading Study Center”, nahm an einer ihrer Veranstaltungen teil und lernte das „dynamische Lesen”. Nachdem ein zweiter Kurs mit rund 20 Mitgliedern der Fakultät ebenfalls Erfolge verzeichnete, erhielt Evelyn Wood eine Anstellung als Assistenzprofessorin und unterrichtete einen Lesekurs für Studenten.
Evelyn Wood erhielt von Wissenschaftlern kaum Zuspruch.
Abseits dieser in Delaware ansässigen Unterstützer haben zahlreiche Wissenschaftler ihre Methoden und Erfolgsversprechen kritisiert. Jeffrey C. Alexander vom „The Harvard Crimson” zitiert in einem seiner Artikel George D. Spache, Direktor des Leselabors der Universität in Florida. Er sagte 1962: „Wenn jemand anbietet, ihnen oder ihren Schülern das Lesen in einer Geschwindigkeit von tausenden von Wörtern pro Minute zu lehren, können sie nur erwidern, dass er die naturgegebenen Rahmenbedingungen des Lesens ignoriere.”
Evelyn Wood erging es demnach nicht anders als vielen der heutigen Anbieter vergleichbarer Seminare: Einige ihrer Aussagen haben und hatten keine wissenschaftliche Basis.
2. Eine hohe Erfolgsquote? Nicht wirklich!
Evelyn Wood Reading Dynamics hat in der Vergangenheit mit einer 96-prozentigen Erfolgsquote geworben, obwohl die Seminare auf sehr hohe Lesegeschwindigkeiten getrimmt waren. Schnell entsteht deshalb der Eindruck, die Methoden von Evelyn Wood hätten bei nahezu allen Teilnehmern ihrer Seminare angeschlagen. Blickt man hinter die Fassade dieses Zahlenspiels, offenbaren sich jedoch andere Gründe.
Die kommunizierte Erfolgsquote wurde anhand der „Rückerstattungsquote” berechnet. Nur vier Prozent der Teilnehmer ließen sich die Seminarkosten erstatten, der Rest zahlte den vollen Betrag. Dass nicht jeder dieser 96 Prozent das sogenannte „dynamische Lesen” gelernt hat, wird deutlich, wenn man sich zwei Dinge vor Augen führt:
- Nicht jeder gescheiterte Teilnehmer beantragt die Erstattung seiner Seminarkosten.
- Die Erstattung der Seminarkosten war an weitere Rahmenbedingungen geknüpft.
In seinem Buch „Grundlagen des Schnelllesens” schreibt Peter Rösler, es sei rückblickend nahezu unmöglich, die Erfolgsquote der Seminare zu bemessen. Da das von Evelyn Wood gelehrte „dynamische lesen” mit Geschwindigkeiten von über tausend Wörtern pro Minute in Verbindung gebracht wird, müssen wir davon ausgehen, dass die Erfolgsquote der Seminarteilnehmer deutlich unter den beworbenen 96 Prozent lag. In unserem Interview erklärt Rösler, die Erfolgsquote beim Erlernen so hoher Lesegeschwindigkeiten liege laut seiner Erfahrungen auch heute nur bei etwa 50 Prozent.
3. Eine erfolgreiche Unternehmerin? Ganz im Gegenteil!
Dass Evelyn Wood Reading Dynamics ihre Namensgeberin überlebt und in den Vereinigten Staaten zwischenzeitlich über 150 Trainingszentren unterhalten hat, könnte als Beweis für den unternehmerischen Erfolg seiner Gründerin herhalten. Leider entpuppt sich dies in Hinblick auf die Fakten als unhaltbarer Mythos.
Evelyn Wood führte ihr Unternehmen an den Rand der Insolvenz.
Das erste Institut ihres Unternehmens gründete Evelyn Wood mit ihrem Mann Douglas („Doug”) Wood laut der Los Angeles Times im Jahr 1959 in Washington, doch die überhastete Gründung weiterer Institute führte die Unternehmer in den Folgejahren an den Rand der Insolvenz. Sie mussten eine „Closed Corporation” gründen, eine spezielle Form der Aktiengesellschaft für kleinere und mittlere Unternehmen und mit George Webster einen erfahren Betriebswirt einstellen, der das Unternehmen auf Profitabilität trimmte.
Der wirtschaftliche Erfolg ihres Unternehmens lässt sich demnach nicht auf Evelyn Wood zurückführen, ganz im Gegenteil.
Evelyn Wood leistete Pionierarbeit
Die Errungenschaften und die Pionierarbeit von Evelyn Wood haben den Grundstein für das heutige Speed Reading gelegt. Die Glorifizierung ihrer Person steht aber in keinem Verhältnis zu den uns vorliegenden Informationen. Auch Evelyn Wood hatte ihre Schattenseiten. Wer sich dessen bewusst ist, kann die vermeintlichen Erfolge der Vergangenheit besser einschätzen und realistische Erwartungen gegenüber dem Speed Reading aufbauen.
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