Als „Speed Reading” bezeichnet man eine Kombination von Lesetechniken, die ein höheres Lesetempo bei gutem Textverständnis ermöglichen. Seinen Ursprung hat das im Deutschen als „Schnelllesen” bezeichnete Speed Reading in den Vereinigten Staaten. Dort wurde es der breiten Öffentlichkeit in den 1960er-Jahren bekannt. Heute wird es weltweit gelehrt.
Inhaltsverzeichnis
Wie lesen wir?
Der Lesevorgang ist ein komplexer Prozess. Experten wie Prof. Dr. Ursula Christmann von der Universität Heidelberg beschreiben ihn als Fähigkeit, „visuelle Informationen aus graphischen Gebilden zu entnehmen und deren Bedeutung zu verstehen”. Fürs Speed Reading ist demnach die Zweiteilung zwischen dem Wahrnehmen „visueller Informationen” und dem Verstehen von „deren Bedeutung” entscheidend.
So sehen wir beim Lesen
Anders als man vermuten würde, gleitet unser Auge beim Lesen nicht gleichmäßig über die Zeilen. Es fokussiert stattdessen stakkatoartig einzelne Textstellen, nimmt sie wahr und springt weiter. Wissenschaftler unterteilen diesen Vorgang in das Innehalten, die Fixation, und das Weiterspringen, die Sakkade.
Eine dritte Erscheinung des Lesevorgangs sind sogenannte „Regressionen”. Es handelt sich dabei um rückwärts gewandte Sakkaden, bei denen das Auge an eine bereits gelesene Stelle zurückspringt. Mangelndes Verständnis ist der häufigste Grund für Regressionen. Sie dienen dazu, bereits vergessenes noch einmal „nachzuschlagen”.
Die wichtigsten Unterschiede zwischen Fixationen und Sakkaden sind:
- Fixationen dauern im Durchschnitt rund 200 bis 300 Millisekunden. Sie dienen der Informationsaufnahme und machen rund 90 Prozent unseres Lesevorgangs aus.
- Sakkaden dauern im Durchschnitt rund 30 Millisekunden, sowohl in die eine als auch in die andere Richtung. Unser Auge ist während einer Sakkade blind.
Eine Fixation erfasst im Durchschnitt etwa acht Buchstaben. Experten nennen dies unsere „Wortidentifikationsspanne”. (Nicht zu verwechseln mit unserer „Blickspanne“.) Je größer sie ausfällt, desto schneller können wir lesen. Sie ist insofern der uns beim Speed Reading limitierende Faktor des menschlichen Auges.
So verstehen wir beim Lesen
Wie gut wir einen Text verstehen, hängt von mehreren Faktoren ab. Besondere Bedeutung haben die Lesbarkeit und unser Vorwissen. Beide lassen sich nur bedingt beeinflussen. Sie sind uns vorgegeben.
Die Lesbarkeit und unser Vorwissen haben großen Einfluss auf unsere Fähigkeit, zu verstehen.
Kurze Wörter und simple Satzstrukturen haben einen positiven Einfluss auf die Lesbarkeit eines Textes. Sie werden mithilfe sogenannter Lesbarkeitsindexe gemessen. Besonders bekannt ist der nach seinem Erfinder Rudolf Flesch benannte „Flesch-Grad”. Er drückt die Lesbarkeit eines Textes anhand von Zahlen aus.

Unser Vorwissen ist in wissenschaftlichen Termen das „mentale Lexikon”, unser persönliches Netzwerk aus dem bereits erlernten und miteinander verbundenem Wissen. Dieses Wissensnetz umfasst alle wichtigen Informationen über die uns bekannten Begriffe: ihre Bedeutung, ihr Aussehen und ihre Aussprache.
Die einzelnen Begriffe sind mit all ihren Eigenschaften und den sie umgebenden Begriffen in einem Netzwerk verknüpft. Je größer unser Vorwissen, desto größer dieses Wissensnetz. Ein großes Wissensnetz hilft uns Gelesenes besser einzuordnen. Es unterstützt uns beim Verstehen.
Wie funktioniert Speed Reading?
Beim Speed Reading kommen Techniken zum Einsatz, die versuchen, die limitierenden Faktoren unserer Lesegeschwindigkeit auszuhebeln. Welche das sind, unterscheidet sich je nach Leseart und Lesetempo. Zur besseren Veranschaulichung greifen wir an dieser Stelle auf die Kategorisierung zurück, die Peter Rösler in seinem Buch „Die Grundlagen des Schnell-Lesens” vornimmt.
Das kleine und große Schnelllesen
Rösler unterscheidet zwischen drei Arten des Schnelllesens: dem „schnellen Normallesen”, dem „optischen Zeilenlesen” und dem „optischen Schnelllesen”. Sie lassen sich wiederum in zwei Gruppen teilen: das kleine und große Schnelllesen.
- Kleines Schnelllesen: Hierzu gehört das „schnelle Normallesen”, das auf einem Hochtrainieren der Rauding Rate basiert und Geschwindigkeiten bis rund 600 Wörter pro Minute ermöglicht. Es wird in den meisten Büchern und Seminaren gelehrt.
- Großes Schnellesen: Hierzu gehört das „optischen Zeilenlesen” und das „optische Schnelllesen”. Es funktioniert nur ohne Subvokalisation und mit einer erhöhten Wortidentifikationsspanne, soll aber Lesegeschwindigkeiten über 1.000 Wörter pro Minute ermöglichen. Ob das realistisch ist, ist umstritten.
Bei genauer Betrachtung weisen die drei Arten des Schnelllesens deutliche Unterschiede auf:
- Das „schnelle Normallesen” wird auch als kleines Schnelllesen bezeichnet. Wie der Name bereits andeutet, gleicht es dem normalen Lesen. Unser Auge springt in Fixationen und Sakkaden von links nach rechts über den Text und identifiziert einzelne Wörter oder kleine Wortgruppen, im Durchschnitt etwa acht Buchstaben.
- Das „optische Zeilenlesen” fällt in die Kategorie des großen Schnelllesens. Es verbietet die Subvokalisation und nutzt eine größere Wortidentifikationsspanne, um bei einem sonst normalen Lesevorgang bei jeder Fixation mehrere Wörter der gleichen Zeile zu erfassen.
- Das „optische Schnelllesen” fällt ebenfalls in die Kategorie des großen Schnelllesens. Es verbietet wie das optische Zeilenlesen die Subvokalisation und nutzt unsere gesamte Blickspanne, um bei jeder Fixation mehrere Wörter in mehreren Zeilen zu erfassen.
Eine weitere Möglichkeit, die eigene Lesegeschwindigkeit zu steigern, bietet das sogenannte „Lesemanagement”. Da Lesemanagement keinen direkten Einfluss auf unser Lesetempo hat, sondern beeinflusst was gelesen wird, handelt es sich dabei nicht um klassisches Speed Reading. Eine Steigerung der Lesegeschwindigkeit wird durch Weglassen unwichtiger Informationen erreicht. Dabei bleibt immer ein Restrisiko, wichtiges auszulassen. Lesemanagement ist aber trotzdem die einfachste Möglichkeit, in kurzer Zeit viel Lesestoff aufzuarbeiten und setzt keinen langwierigen Lernprozess voraus.
So schnell können wir lesen
Wie schnell wir lesen können, hängt von der eingesetzten Leseart ab. Relativ verlässliche Zahlen haben wir nur fürs kleine Schnelllesen. Sowohl Wissenschaftler wie Ronald P. Carver als auch Seminaranbieter wie Wolfgang Schmitz halten Lesegeschwindigkeiten von rund 600 Wörtern pro Minute für realistisch. Im Vergleich zum Durchschnitt entspricht dies mindestens einer Verdopplung der Lesegeschwindigkeit.
Schwieriger ist es, die Frage nach dem maximalen Lesetempo fürs große Schnelllesen zu beantworten. Das hat vor allem zwei Gründe, die sowohl fürs optische Zeilenlesen als auch fürs optische Schnelllesen gelten:
- Es gibt kaum Studien, die über das kleine Schnelllesen hinaus die Lesegeschwindigkeit von Schnelllesern ermittelt haben, unsere Zahlen basieren insofern auf Erfahrungswerten.
- Beim großen Schnelllesen ist der Übergang vom effektiven ins überfliegende Lesen fließend. Das Ziel des Speed Reading ist jedoch eine möglichst hohe effektive Leserate. Überfliegendes Lesen – sogenanntes Skimming – ist kontraproduktiv.
In Hinblick auf das Ziel einer möglichst hohen effektiven Leserate, müssen wir uns beim großen Schnelllesen auf wenige experimentelle Studien und Aussagen von Schnelllesern verlassen. Demnach lassen sich folgende Aussagen treffen:
- Beim optischen Zeilenlesen sind rund 900 Wörter pro Minute realistisch.
- Beim optischen Schnelllesen sind rund 1.500 Wörter pro Minute machbar.
Die in den vergangenen Zeilen wiedergegebenen Werte basieren auf Analysen von Peter Rösler, Vorstandsvorsitzender der „Deutschen Gesellschaft für Schnell-Lesen”. In seinem Fachbuch „Die Grundlagen des Schnell-Lesens” trifft Rösler auch Aussagen über die Erlernbarkeit der verschiedenen Lesearten.
Sie relativieren die maximal möglichen Lesetempos durch einen geringeren Lernerfolg beim großen Schnelllesen. So heißt es bei Rösler: „Die Erfolgsquote beim Erlernen des großen Schnelllesens beträgt ungefähr 50 Prozent.” Dies steht einer Erfolgsquote beim Erlernen des kleinen Schnelllesens von mindestens 90 Prozent gegenüber.
Wie kann man schneller lesen lernen?
Der Abschnitt „Wie funktioniert Speed Reading?” handelte von verschiedenen Lesearten. Die darin getroffenen Unterteilungen basierten auf Aussagen von Peter Rösler, Vorsitzender der „Deutschen Gesellschaft fürs Schnelllesen”. Zur Veranschaulichung fasst die folgende Tabelle die wichtigsten Unterschiede zusammen:
Leseart | Lesetempo | Lernerfolg |
---|---|---|
Schnelles Normallesen | 600 WpM | 90 Prozent |
Optisches Zeilenlesen | 900 WpM | 50 Prozent |
Optisches Schnelllesen | 1.500 WpM | 50 Prozent |
In Anbetracht der größeren Verbreitung und wissenschaftlichen Akzeptanz sowie der leichteren Erlernbarkeit bietet das kleine Schnelllesen im direkten Vergleich einige Vorteile. Hinzukommen die hohen Kosten beim Erlernen des großen Schnelllesens. Im Interview erklärt Rösler: „Das Training für das große Schnelllesen kostete mich bei den Michelmanns ungefähr so viel wie ein Kleinwagen.”
So misst man die Lesegeschwindigkeit
Die durchs Schnelllesen erzielte Zeitersparnis hängt nicht nur vom Lesetempo ab, sondern auch vom Textverständnis. Sinkt das Verständnis bei steigender Geschwindigkeit, bleiben Erfolge auf der Strecke. Besser ist es deshalb, du misst deine Erfolge mithilfe der „effektiven Leserate”
Effektive Leserate = Lesegeschwindigkeit * Verständnis
Die effektive Leserate setzt das Lesetempo in Relation zum Verständnis. Liest du mit 400 Wörtern pro Minute, verstehst aber nur 50 Prozent, liegt sie bei 200 Wörtern pro Minute. Die effektive Leserate berechnet sich insofern wie folgt: Lesetempo (in Wörtern pro Minute) * Verständnis (in Prozent) = effektive Leserate (in Wörtern pro Minute).
Lesegeschwindigkeit
In Lesetests wird unser Lesetempo üblicherweise in „Wörtern pro Minute” (WpM) gemessen. Seltener erfolgen Messungen in den durch Prof. Ronald P. Carver eingeführten „Standardwörtern”, die durch eine standardisierte Wortlänge von je sechs Buchstaben einheitliche Messungen ermöglichen.
Wörter | Standardwörter |
---|---|
Eine beliebig lange Folge von Zeichen. Laut Duden ist ein deutsches Wort im Durchschnitt 10,6 Buchstaben lang. | Eine Folge von exakt sechs Zeichen. Wurde zur besseren Messung von Ronald P. Carver eingeführt. |
Für eine erste Einschätzung kannst du deine Lesegeschwindigkeit mit sehr einfachen Messmethoden ermitteln. Starte eine Stoppuhr, lies einen mehrere Seiten langen Text und zähle dessen Wörter. Teile die Anzahl an Wörtern anschließend durch die in Minuten erhobene Lesezeit. Das Ergebnis ist dein Lesetempo in Wörtern pro Minute.
Textverständnis
Deutlich schwieriger fällt das Messen des Textverständnis. Viele Trainer greifen dafür auf Fragenkataloge zurück. Sie ermitteln das Textverständnis beispielsweise anhand von zehn Fragen mit je vier möglichen Antworten. Sie steht aufgrund der leichten Beeinflussbarkeit durch zu einfache Fragenkataloge unter Kritik.
Als alternative Messmethode könnte die „Verständnis-Selbsteinschätzung” dienen, bei der Absolventen eines Lesetests nach ihrem gefühlten Verständnisgrad befragt werden. Solange sie keinen Anreiz haben, zu lügen, liefert diese Messmethode verlässliche Ergebnisse, heißt es bei Rösler. Antworten sie mit „70 Prozent”, liegt das Ergebnis nah an diesem Prozentsatz.
Idealerweise ermittelst du deinen Verständnisgrad über verschiedene Messmethoden und vergleichst die Ergebnisse. Liegt dein Verständnis laut Fragebogen bei 80 Prozent, frage dich immer: „Wie viel habe ich wirklich verstanden?” Hast du das Gefühl, es ist deutlich weniger, vertraue darauf. Ermittle deine effektive Leserate anschließend mithilfe des korrekten Messwerts und der oben stehenden Formel.
So schnell kannst du lesen lernen
In Anbetracht aktueller Forschung und den Aussagen von Experten kannst du deine effektive Leserate in wenigen Wochen um mindestens 50 Prozent steigern. Ob mehr möglich ist und was genau das bedeutet, hängt davon ab, wie schnell du bereits liest. Speed Reading zahlt sich vor allem für langsame Leser aus.
Im Durchschnitt liegt die Lesegeschwindigkeit der deutschen Bevölkerung bei rund 250 Wörtern pro Minute. Wenn wir von einer Verbesserung um 50 Prozent ausgehen, steigt dieser Wert auf 375 Wörter pro Minute. Einen Artikel mit 1.000 Wörtern liest du demnach in 2:40 Minuten, da entspricht einer Ersparnis von 1:20 Minuten. Bei einem Buch mit nur 90.000 Wörtern sparst du stolze 120 Minuten.
Speed-Reading-Bücher
Bücher sind der wahrscheinlich günstigste Weg, schneller lesen zu lernen. Der größte Unterschied zwischen verschiedenen Fachbüchern ist das Fachwissen des Autors und die angewandte Lehrtechnik. Vertraue bei der Auswahl eines Ratgebers auf Bewertungen von Experten, aber auch Einsteigern. Sie geben dir zusammen den nötigen Gesamteindruck.
In den nächsten Wochen und Monaten werden wir auf Speedreading.de alle wichtigen Bücher vorstellen, dir einen besseren Einblick in ihre Methodik und die theoretischen Hintergründe geben. Eine vollständige Übersicht aller uns bekannten Fachbücher sowie erste Kurzrezensionen findest du schon jetzt auf unserer Übersichtsseite.
Willst du dich schlau und schneller lesen? Dann wirf einen Blick auf unsere Übersicht der „Speed-Reading-Bücher“.
Speed-Reading-Seminare
Die Alternative zum autodidaktischen Lernen bieten die vielen angebotenen Seminare. Sie werden meist in Großstädten veranstaltet und ziehen sich in der Regel über zwei Seminartage. Durch die direkte Arbeit mit einem Trainer versprechen sie große Fortschritte bei überschaubarem Zeitaufwand. Wie gut das gelingt, hängt von der Qualität des Trainers und der Methodik ab.
Auf Speedreading.de erscheinen in den nächsten Monaten zahlreiche Interviews mit den verschiedenen Seminaranbietern. Sie sollen dir einen besseren Einblick in ihre Methodik geben und dich bei der Auswahl eines Seminars unterstützen. Um dir einen besseren Überblick über das deutschsprachige Angebot zu geben, listen wir als unabhängige Quelle alle in Deutschland, Österreich und der Schweiz öffentlich angebotenen Seminare.
Die vollständige Liste findest auf unserer Unterseite „Speed-Reading-Seminare”.
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